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Zeitschrift für die Praxis der politischen BildungPolitik & Unterricht3/4-2005Gegen den Strich –Karikaturen zu zehn ThemenE 4542

Zeitschrift für die Praxis der politischen BildungPolitik & UnterrichtHeft 3/4–20053./4. Quartal31. JahrgangInhaltwww.lpb-bw.de/puuEditorialGeleitwort des Ministeriumsfür Kultus, Jugend und SportDie Autoren dieses Heftes122Politik & Unterricht wird von der Landeszentralefür politische Bildung Baden-Württemberg herausgegeben.Herausgeber und ChefredakteurLothar Frick, Direktor der LpB Baden-WürttembergGeschäftsführender RedakteurDr. Reinhold Weber, LpB onJudith Ernst-Schmidt, Studienrätin, Werner-Siemens-Schule(Gewerbliche Schule für Elektrotechnik), StuttgartUlrich Manz, Rektor der Schillerschule(Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule), EsslingenHorst Neumann, Ministerialrat, Umweltministerium Baden-Württemberg,StuttgartAngelika Schober-Penz, Erich-Bracher-Schule(Kaufmännische Schule), KornwestheimKarin Schröer, Reallehrerin i. R., ReutlingenEinleitung3–6Unterrichtsvorschläge und MaterialienThema A:Thema B:Thema C:Thema D:Thema E:Thema F:Alltag in modernen ZeitenElternhaus und SchuleMassenmedienMobilitätUnser Planet: Umwelt undNachhaltigkeitLeben in der demokratischenGesellschaftParlamentarische DemokratieSoziale MarktwirtschaftDie Zukunft EuropasFrieden für die eine WeltAnschrift der RedaktionStafflenbergstraße 38, 70184 StuttgartTelefon: 0711/164099-45; Fax: 0711/164099-77Redaktionsassistenz: [email protected] G:Thema H:Thema I:Thema J:GestaltungMedienstudio Christoph Lang, Rottenburg a. N., lag GmbH, Klosterring 1, 78050 Villingen-SchwenningenAnzeigen: Neckar-Verlag GmbH, Anzeigenleitung: Peter WalterTelefon: 07721/8987-0; Fax: 07721/8987-50; [email protected] gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 01.05.2005.DruckPFITZER DRUCK GMBH, Benzstraße 39, 71272 RenningenPolitik & Unterricht erscheint vierteljährlichPreis dieser Nummer: Euro 5,60Jahresbezugspreis: Euro 11,20Unregelmäßige Sonderhefte werden zusätzlich mit jeEuro 2,80 in Rechnung gestellt.Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt dieMeinung des Herausgebers und der Redaktion wieder.Nachdruck oder Vervielfältigung auf elektronischen Datenträgern sowieEinspeisung in Datennetze nur mit Genehmigung der Redaktion.Titelblatt-Karikatur: Gerhard MesterAuflage dieses Heftes: 23.000 ExemplareRedaktionsschluss: 15. September 2005ISSN 0344-35317–[email protected]: Horst Neumann (federführend)Themen A, B, D, E und H: Horst NeumannThemen C, F, G, I und J: Wolfgang Schützewww.lpb-bw.de/puu/3 4 05/karikaturen.htmUnter dieser Adresse sind die Literaturhinweise im Internetabrufbar.Hinweis der Redaktion: Trotz intensiver Recherche konntenicht zu jeder Karikatur der Urheberrechteinhaber ermitteltwerden. Bitte wenden Sie sich bei nachträglichen Forderungen an die Redaktion.

EditorialKarikaturen sind stumme Impulse. Sie müssen zum »Sprechen« gebracht werden und geben Redeanlass. Schon alleindeshalb sind sie für den Einstieg in ein Thema oder in eineUnterrichtseinheit besonders geeignet. Von Lehrerinnen undLehrern aller Schularten, aber auch im außerschulischenBildungsbereich, werden sie so auch als eines der häufigstenMittel politischen Lernens genutzt, weil sich an ihnen diedrei klassischen Stufen der Hermeneutik geradezu paradeartig nachvollziehen lassen: Verstehen, Auslegen, Anwenden.Im aktualitätsbezogenen und handlungsorientierten Unterricht werden Karikaturen fast selbstverständlich verwendet.In der Didaktik sind sie seit geraumer Zeit etabliert, und inZukunft kann – je nach Schulart – die selbstständige Analyseeiner Karikatur in den Fächern Gemeinschaftskunde undGeschichte wohl auch prüfungsrelevant werden. Wenn dabeinoch auf dem Gesicht des einen oder anderen Lernenden einSchmunzeln erscheint, so kann politische Bildung durchausauch Spaß machen.Karikaturen spitzen zu, übertreiben, verfremden und polarisieren auch. Sie widersprechen damit im Grunde demÜberparteilichkeitsgebot der politischen Bildung. Dennochsind sie ein geradezu perfektes Medium mit außergewöhnlicher Motivationskraft, weil sie auf sinnlich-konkret erfassbare Weise Anlass zu kontroversen Diskussionen schaffen.Zum zweiten Mal nach 1978 legt Politik & Unterricht nunein Themenheft zum Unterrichtsmedium Karikatur vor. Espräsentiert ausgewählte Karikaturen zu zehn politischenThemen, die bildungsplanrelevant, aber auch im außerschulischen Bildungsbereich von hoher Bedeutung sind. Dabeiwerden nicht vorzugsweise stringente Unterrichtseinheiten angeboten – auch wenn Teile des Heftes so zu nutzensind –, sondern vielfältige Zugänge zu bestimmten Lernfeldern, die in allen Schularten und in jedem Lernalter angewendet werden können.Lothar FrickDirektor der LpBDr. Reinhold WeberGeschäftsführender RedakteurReinhold Weber/Ines Mayer (Hrsg.):Politische Köpfe aus Südwestdeutschland.Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 33, Stuttgart 2005.Namhafte Politiker aus dem deutschenDie Beiträge belegen das VerdienstSüdwesten haben zwischen der Reichsgründung 1870/71 und der Gründungder Bundesrepublik die Geschicke„politischer Köpfe“ aus Südwestdeutschland bei der Parlamentarisierung desDeutschen Reiches, bei der BegründungDeutschlands beeinflusst. AusgewieseneExperten porträtieren in diesem 316Seiten starken Buch 30 Zeitzeugen undund Verteidigung der ersten deutschenDemokratie von Weimar, im Widerstandgegen die Hitler-Diktatur sowie beimAkteure zweier Jahrhunderte, die aufReichs- bzw. Bundesebene nachhaltigeSpuren hinterlassen haben – als Abge-Wiederaufbau der deutschen Demokratienach 1945 und in der BundesrepublikDeutschland.ordnete, Minister, Kanzler, Präsidentenund als Protagonisten des Widerstandsgegen das NS-Regime.Das Buch ist gegen eine Schutzgebührvon 5.- EUR (zzgl. Versandkosten) beider Landeszentrale für politische Bildungoder [email protected] zubestellen.Politik & Unterricht 3/4-20051

Geleitwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und SportIm schwarzen Anzug und mit trauriger Miene legt ein Herrein Buch mit der Aufschrift »EU-Verfassung« in ein Dreisternegefrierfach, das die Form eines Sarges hat. Die Verfassung wird »auf Eis gelegt«, vielleicht wird sie sogarfür immer beerdigt: Wenige Tage nach dem Scheitern derReferenden über die EU-Verfassung in Frankreich und in denNiederlanden erschien diese Karikatur in der StuttgarterZeitung. Sparsame Striche scheinen in schnellem Zug aufdas Papier geworfen, mit leichter Hand skizziert. Vieles istnur angedeutet, und dennoch trifft die Zeichnung zielsicherins Schwarze.Es braucht mehr Worte als Pinselstriche, um diese Karikatur zu beschreiben. Die unmittelbare, simultane Sprachedes Bildes erreicht uns schneller als das Nacheinander derWortsprache. Was das Auge innerhalb weniger Sekundenerfasst, verlangt dem Gehirn bei einem Text vergleichbarenInhaltes hochkomplexe Leistungen ab. Was die Karikatur mitbildlichen Mitteln direkt und scheinbar einfach vermittelt,bedarf, in Worte gesetzt, der Erklärung.Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg legt nun ein Heft vor, in dem zahlreiche Karikaturen zumehreren Themenbereichen vorgestellt werden, die mit ganzunterschiedlichen Zielsetzungen in verschiedenen Fächerneingesetzt werden können. Die übertriebene Darstellung inder Karikatur fordert zur Stellungnahme heraus und eignetsich daher besonders als Einführung in ein Thema oder alsEinstieg in eine Diskussion. Aber auch ganze Unterrichtseinheiten können, wie die Vorschläge zeigen, mit Karikaturengeplant werden. Das bringt methodische Abwechslung inden Unterricht und fördert die Motivation der Schülerinnenund Schüler. Und wer gelernt hat, Karikaturen zu entschlüsseln, sieht nicht nur die dargestellten Probleme, sondernauch den Witz. So wird auch die Fähigkeit geschult, denUnzulänglichkeiten der Menschen und den Schwierigkeitendes Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen.Johanna SeebacherMinisterium für Kultus, Jugend und SportGenau dies sei ihre Schwäche: Plakativ, zugespitzt und vereinfacht sei der dargestellte Sachverhalt, könnte man derKarikatur vorwerfen. Das aber ist gerade das typische Merkmal einer Karikatur. Sie will nicht umfassend informierenoder gar erörtern. Sie will einen Sachverhalt aufdecken,sie will hinterfragen und kritisieren, sie will eine Meinungäußern. Die spitze Feder wird zum spitzen Finger, der aufMissstände hinweist – fragend, anklagend, mahnend. Unddoch ist die Karikatur auch mit dem Witz verwandt undwill belustigen und erheitern. Im überraschten Schmunzelnoder Lachen über eine Karikatur liegt oft ein Moment derEntspannung und Befreiung, auch wenn einem bei manchenKarikaturen in schreckenvollem Erkennen das Lachen imHalse stecken bleibt.DIE AUTOREN DIESES HEFTESHorst Neumann leitet im Umweltministerium den BereichKommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Praktische Tippsgibt er in einem Lehrauftrag an der Hochschule für Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg an Studenten weiter.Als langjähriges Redaktionsmitglied von P&U übernahm erbesonders gern die Federführung bei »Gegen den Strich«.Wolfgang Schütze ist Diplompolitologe und Leiter des Internationalen Forums Burg Liebenzell/Akademie für politischeBildung und internationale Jugendbegegnung. Er arbeitetvor allem im Bereich politische Willensbildung (Parteien, Verbände, Medien, Kommunalpolitik und politische Rhetorik).2Politik & Unterricht 3/4-2005

Gegen den Strich –Karikaturen zu zehn Themen EINLEITUNGWas ist eine Karikatur?Karikaturen können gewinnbringend in allen Phasen des Unterrichts eingesetzt werden. Von ihrem Wesen her eignen siesich besonders dazu, einen Gesprächsanlass zu schaffen undeinen Prozess in Gang zu bringen. Karikaturen erfüllen damitwie kaum ein anderes Medium die didaktischen Forderungenan einen gelungenen Einstieg in ein Gesamtthema oderin einen Teilbereich. Hermann Giesecke, einer der großenDidaktiker der politischen Bildung, hat das zeitlos in seinerDidaktik der politischen Bildung (München 1972, S. 199 ff.)formuliert und damit indirekt ein Plädoyer für den Einsatzvon Karikaturen im interaktiven Unterricht gehalten:»Ein guter Einstieg sollte immer vom Gehalt und von dersprachlichen und ästhetischen Form her so gut sein, dass essich von der Sache her lohnt, sich mit ihm zu beschäftigen.Der Einstieg muss spontan interessieren, sonst wird auchmeistens für seine Ausdeutung kein Interesse zu gewinnensein; er darf nicht so umfangreich sein, dass er nicht mehrals Ganzes bzw. in der Vorstellung behalten werden kann.Er muss unvollständig, ›imperfekt‹ sein, nur dann bietet ergenug Anreiz, ihn so vollständig wie möglich zu machen.Der Einstieg muss verfremden; wenn er im Vergleich zu dem,was man sowieso schon denkt, meint und fühlt, nichts Ungewöhnliches und Neues enthält, kann er schwerlich auch zuneuen Erfahrungen führen und kaum zum Lernen motivieren.Der Einstieg, der verfremdet, ruft immer auch vorgefassteMeinungen und Urteile, vielleicht sogar regelrechte Vorurteile hervor. Einstieg ist also niemals nur die Sache, sondernauch das Bündel an Vorurteilen und Affekten, das er hervorlockt, das aufzuarbeiten ist.«Jedoch dürfen Karikaturen in ihrer Funktion und Bedeutungfür das Unterrichtsgeschehen nicht überschätzt werden. Siesind kein methodisches Zauber- und Allheilmittel. Von dahermuss auch vor didaktischer Euphorie nach dem Motto »DieKarikatur ist die Wundertüte für den Unterricht, provozierend und lustig wie der ideale Lehrer« gewarnt werden (vgl.:Julia Voss: Mit spießiger Feder angespitzt. Müssen SchülerKarikaturen in Schulbüchern lieben?, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 23. Juni 2002).Eine Karikatur ist die bewusst übertriebene und auch verzerrende Darstellung von Personen, Tatsachen und HandlunPolitik & Unterricht 3/4-2005gen. Die eingesetzten Mitteilungsformen sind Humor, Ironie,Satire, eine kritische Aussage und deren Bezogenheit aufbestimmte Adressaten. »Die Karikatur . sowie deren praktisches Gegenstück: die Entlarvung, richten sich gegen Personen und Objekte, die Autorität und Respekt beanspruchen,in irgendeinem Sinn erhaben sind. . Wenn nun Verfahrenzur Herabsetzung des Erhabenen mich dieses wie ein Gewöhnliches vorstellen lassen, bei dem ich mich nicht zusammennehmen muss, ersparen sie mir den Mehraufwand desfeierlichen Zwanges.« (Sigmund Freud, Der Witz und seineBeziehung zum Unbewussten, Frankfurt 1958, S. 163).Karikaturen »bürsten gegen den Strich«, spitzen ein Problemzu, kommentieren wohlwollend oder bösartig, verkürzen,unter- oder übertreiben. Stilmittel sind dabei in der RegelÜbertreibung, Paradoxie, Ironie, Komik, Parodie, Witz undSarkasmus. In jedem Fall sind sie anregend, da sie offenMeinung machen, Stellung nehmen und damit auch individuelle Stellungnahmen provozieren. Karikaturisten zerbrechensich, wie ein Großer dieser Zunft, Jupp Wolter, schreibt,den Kopf, wie sie die letzte politische Meldung in eineverkaufbare Karikatur umwandeln können. »Umwandeln ineine politische Stellungnahme, von denen wohlgesonneneRedakteure behaupten, dass die manchmal einen Leitartikelersetzen können« (vgl. Politik & Unterricht, Heft 2/1978,Karikaturen, S. 2).Eine demokratisch verfasste Gesellschaft lebt von Transparenz und Sichtbarmachung politischer Zusammenhänge.Karikaturen sind geeignet, Fehlentwicklungen direkter alsandere Meinungsäußerungen auszusprechen, weil ihnen einedem früheren Hofnarren ähnliche Rolle zukommt. Sie haltender Gesellschaft den Spiegel vor, sind »sanktionierte Kritik«und dürfen die Wahrheit ungeschminkt und ungestraft beimNamen nennen. Karikaturen dürfen sich der Schattenseitender Gesellschaft und ihrer »Schmuddelkinder« annehmen.Die Bürgerinnen und Bürger einer demokratischen Gesellschaft wollen keine sich gegen sie abschirmende Verwaltung, keine im Verborgenen handelnde und sie (lediglich)mit den Ergebnissen konfrontierende Obrigkeit, sondern sieverlangen nach einer politischen Führung, die sich kritischhinterfragen lässt und ihre Handlungsmotive nachvollziehbar darzulegen vermag.Karikaturen nutzen eine breite Palette bildsprachlicher Elemente, die aus Geschichte, Literatur und Alltag zur Verfügung stehen. Den Reiz einer guten Karikatur macht dasSpannungsverhältnis aus den bekannten Zeichen und derüberraschenden, zunächst irritierenden Montage aus, die3

Einleitungfragen lässt: »Was steckt dahinter?«. Karikaturen geben Anstöße, die weitergedacht werden müssen, sie spitzen Sachverhalte zu und erhöhen damit das kontroverse Potenzialeines Themas. Die Verfremdung (ital. caricare überladen)kann sogar Tabus in Frage stellen und fordert in besonderemMaße eine persönliche Stellungnahme.Karikatur will – wie die Satire – zunächst informieren,wenngleich der Sachverhalt immer auch »geistreich-gewaltsam« vereinfacht wird. Damit regt die Karikatur zu selbstbestimmter Meinungs- und Urteilsbildung an. Sie weitetden Freiheitsraum der Meinungsäußerung aus oder hält ihnzumindest. Karikaturen sind ein demokratisches Regulativund damit feine Messinstrumente, an denen sich der Gradder Freiheit einer Gesellschaft ablesen lässt. »Überall hat dieKarikatur zwar ihren Platz in den Gazetten, aber es ist einUnterschied, ob sie den Großmächtigen als Alibi dient, oderob sie Hand auch an die Großmächtigen legt. Karikaturensind untrügliche Marken auf der Wetterkarte eines Landes.«(Otto. E. Ifland, in: Manfred Oesterle: Zwischen Scherz undSchock, Hannover 1971, S. 7).Art. 5 des Grundgesetzes:Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schriftund Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sichaus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zuunterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit derBerichterstattung durch Rundfunk und Film werdengewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichenBestimmungen zum Schutze der Jugend und in demRecht der persönlichen Ehre.(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sindfrei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von derTreue zur Verfassung.Karikaturen im UnterrichtEine Karikatur betont meist einen Aspekt eines Zusammenhangs, lässt dafür andere aus, verkürzt einseitig, ist häufigsogar »Kampfmittel« im politischen Alltag. Der Zeichner willPartei nehmen, nicht abstinenter Beobachter sein. Karikaturen können damit also bei einseitiger Betrachtung bestehende Vorurteile bestärken. Der Betrachter muss wissen,dass eine Karikatur keine umfassende Information liefert,sondern immer »nur« eine pointierte Meinung des Zeichnersoder des Auftraggebers.Methodische HinweiseBei der Analyse einzelner Karikaturen empfiehlt sich dieAnwendung eines Fragenkatalogs, der entweder vorgelegtoder aber – was natürlich der günstigere Fall ist – gemeinsam4an einem Beispiel erarbeitet wird. Die ersten Fragen werdenimmer sein: Was sehe ich? Was fällt mir an der Darstellungbesonders auf? Wer oder was wird angesprochen? Wie reagiere ich spontan auf die Karikatur? Welche Absicht verfolgtwohl der Zeichner?Zur Intention dieses HeftesFür dieses Heft wurden zehn zum Teil sich wechselseitigergänzende Themen ausgewählt, die zu wichtigen Fragestellungen schulischer und außerschulischer Bildung gehören.Entscheidend war dabei, die neuen Bildungspläne zu berücksichtigen und Bereiche anzubieten, die dort zur Behandlungempfohlen werden. Innerhalb der ausgewählten Themenmussten wiederum Schwerpunkte gesetzt werden, für diedann mosaikartig bis zu 13 Karikaturen vorgestellt werden.Bei der Auswahl wurden folgende Kriterien berücksichtigt: über das Tagesgeschehen hinausgehend, möglichst »zeitlose« Problemstellung, keine starke Bindung an bestimmte Personen oder Tagesereignisse, da sonst zu schnell veraltet, Betonung des bildnerischen, nicht des sprachlichen Moments, »Redlichkeit!« der Zeichnung, also keine Demagogie oderAgitation, Realitätsnähe und Verständlichkeit trotz reduzierter Komplexität.Jedem Themenbereich wird in einem einleitenden Teil einekurze inhaltliche Abgrenzung vorangestellt. Diese Hinweisesind zwangsläufig nur eine erste Hinführung zum Themaund müssen intensiv ergänzt und aufgearbeitet werden.Den inhaltlichen Vorbemerkungen folgt jeweils eine kurzethematische Auflistung der ausgewählten Karikaturen mitmethodischen Vorschlägen für deren Einsatz im Unterricht.Die Karikaturen können entweder einzeln zur Thematisierungeinzelner Aspekte eingesetzt werden oder gleichsam als inhaltlich zusammenhängende Bildergeschichte, deren Interpretation verschiedene Facetten eines Themas ausleuchtet,wie z. B. beim Thema »Alltag in modernen Zeiten«.Nach dem bereits 1978 erschienen Heft »Karikaturen« vonPolitik & Unterricht wird jetzt mit »Gegen den Strich« erneutein attraktives Begleitmaterial für verschiedene Themen vorgelegt. Wenn es dabei auch gelingt, alle am Unterrichtsgeschehen Beteiligten für das Medium Karikatur – und damit auch für verwandte Bereiche wie den politischen Witz,das politische Lied, das politische Kabarett, die Satireusw. – zu sensibilisieren, wäre der Wunsch der Autorenerfüllt, den Lehrerinnen und Lehrern Beispiele anzubieten,um den Unterricht mit Karikaturen attraktiv gestalten zukönnen. Dieser Intention trägt auch die Hinzunahme einzelner ergänzender Textbeiträge (Aphorismus, Fabel, Glosseusw.) zum jeweiligen Thema Rechnung, die gleichermaßenals Anregung verstanden werden wollen. Darüber hinauskönnen die Schülerinnen und Schüler durch den Gebrauchdieses Heftes dazu angeregt werden, selbst Karikaturen bzw.glossierende oder satirische Texte zu sammeln und in denUnterricht einzubringen.Politik & Unterricht 3/4-2005

EinleitungCHARAKTERISTIK EINER KARIKATURMERKMALEVerdichtung QUELLENWERT in den bildlichen und sprachlichen Mitteln.Damit werden die realen Verhältnisse übersteigert.Tendenz:Karikaturen sind einseitig undnehmen Partei.Lustquelle:Das durch die Karikatur ausgelösteLachen ist ein Akt der Befreiung– wenn auch nur für einen Augenblick!Sozialer Charakter: Auf ein Publikum gerichtet.Karikaturen sind in höchstem Maßezustimmungsbedürftig und sucheneinen Sympathisantenkreis.Schnelle Reaktion auf Ereignisse und ProzesseTeil der (politischen) Öffentlichkeit:Karikaturen verweisen aufstreitende und strittige Interessen.Karikaturen bringen Ereignisseauf den Punkt und auf den Begriff:Sie sind Vorstellungshilfe fürschwierige Zusammenhänge.Lehrstücke für den Umgang mit Werturteilen:Karikaturen werten und emotionalisieren. Deshalb muss der Umgangmit karikierenden Wertungen geübtwerden.Aus: Hans-Jürgen Pandel / Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts., 2. Aufl. 2001, S. 259 f.MÖGLICHE FRAGEN ZUR ANALYSE VON KARIKATURENWas?Wie?Wer? Was ist zu sehen? Welches Thema/Problem ist dargestellt? Welche handelnden Personensind dargestellt? Welche Auffälligkeiten gibt es? Wie werden Personen dargestellt? Welche Stilmittel verwendet dieKarikatur? Wer hat die Karikatur gezeichnet? In wessen Auftrag? Was ist über Zeichner und Auftraggeber bekannt?Wann? Wann ist die Karikatur entstanden? Was wissen wir über diese Zeit?Warum? Was will der Zeichner erreichen? Wer oder was wird thematisiert? Warum?Wirkung? Welche Emotionen löst dieKarikatur aus? Wie wirkt sie auf Betroffene? Wie auf den Betrachter? Wie auf andere?Verbreitung? Wie wird die Karikatur verbreitet? Gibt es Rückmeldungen?Nach: Herbert Uppendahl: Die Karikatur im historisch-politischen Unterricht, Freiburg/Würzburg 1978, S. 47.Politik & Unterricht 3/4-20055

EinleitungEIN INTERVIEW MIT DEM KARIKATURISTEN GERHARD MESTERP&U: Herr Mester, wie kommen Sie auf die Themen IhrerKarikaturen? Gibt es thematische Vorlieben und ein »Spezialistentum«, oder werden Sie immer öfter von tagesaktuellen Vorgängen inspiriert?Die Themen ergeben sich durch das aktuelle politischeGeschehen. Bedeutsame Ereignisse und wichtige Personalentscheidungen sind ein Muss für einen politischenKarikaturisten, wenn er will, dass seine Arbeiten auch gedruckt in der Zeitung erscheinen. Es gibt aber auch Spielräume für eigene Vorlieben, persönliche Themen, sofernsie eine gewisse allgemeine Relevanz haben. Grundsätzlich gilt: Je aktueller und je mehr an bekannten Köpfenorientiert eine Karikatur daherkommt, umso größer ist dieChance auf Nachdruck.P&U: Sie arbeiten ja immer wieder mit bestimmten »Topoi«,mit wiederkehrenden Bildern und Metaphern. Die werdenimmer wieder variiert: Irgendetwas wird gemolken oderausgesaugt, irgendjemand steht »dumm« da, ein anderer ist (scheinbar) überlegen. Wie kommen Sie zu diesenmenschlichen Urphänomenen? Müssen Sie sich diese »erarbeiten« oder entstehen sie spontan? Oder kurz formuliert:Wie kommt der Witz, die Pointe in die Karikatur, ohne dassSie ein »zuviel« an Text benötigen?Wir Karikaturisten haben einen mehr oder weniger großenKoffer voller Metaphern, die wir in immer neuen Kombinationen benutzen und variieren, um einen sonst recht trockenen Sachverhalt möglichst zutreffend zu beschreibenund – zumindest auf den ersten Blick – leicht verdaulichzu machen. Der Perspektivenwechsel, dieses »das-istso-als-ob .«, lässt eine Sache meist leichter und heitererscheinen. Das ist humorvoll, nicht unbedingt witzig.Der Umfang des erwähnten Koffers hängt zusammen mitErfahrung und Fantasie. Nicht zu unterschätzen ist auchdie rein zeichnerische Qualität einer Karikatur. Eine guteIdee lässt sich auch totzeichnen. Ein guter Witz mussschließlich auch gut erzählt werden.P&U: Die Zeiten sind schlecht: Politikverdrossenheit, Arbeitslosigkeit, leere Staatskassen, kurz: Die Probleme sindgroß. Frei nach Erich Kästner: Herr Mester, wo bleibt dasPositive?Ich bin nicht zuständig für das Positive. Satire und Karikatur befassen sich naturgemäß mit dem Unperfekten,mit Missständen, mit den Abweichungen vom Ideal. Grobgesagt: Je größer die Diskrepanz zwischen (propagiertem) Ideal und (kaschierter) Realität, umso leichteresSpiel hat der Karikaturist. Wäre die Wirklichkeit ideal,gäbe es keine Satire.P&U: Kurt Tucholsky hat geschrieben: »Der Satiriker istein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben, sie istschlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.« Mit6einer Karikatur kann man glossieren, didaktisieren, moralisieren oder eine politische Botschaft vermitteln. HerrMester: Inwieweit fließen Ihre persönlichen Überzeugungen und Einstellungen in Ihre Arbeit ein? Was wollen Siemit Ihren Karikaturen erreichen?Natürlich würde ich gerne die Welt verbessern, sonst wäreich wohl nicht in diesem Beruf gelandet. Da geht es mirähnlich wie Sozialarbeitern, Pfarrern und vielen Lehrern.Gleichzeitig bin ich realistisch und egoistisch genug, umnicht wegen mangelnden Erfolges depressiv zu werden.Natürlich fließt meine Überzeugung in meine Arbeit ein.Wenn ich die Wirklichkeit mit dem Ideal konfrontiere, istdas auch immer eine Bewertung; wenn die Abweichungvom Ideal ein Gesicht hat (Merkel, Westerwelle oderSchröder), dann ist das automatisch Parteinahme. Ichhabe allerdings nicht das Gefühl, dass ich die GeschickeDeutschlands mitbestimmen könnte, selbst wenn meineBilder täglich hunderttausendfach gedruckt werden. MeinEhrgeiz liegt daher eher darin, so weit wie möglich ehrlich zu bleiben. Ich wäre zufrieden, wenn ich mich anmeinem Lebensende für keine meiner Zeichnungen schämen müsste.P&U: Und nochmals Tucholsky; der sagte, Satire dürfealles. Was darf Karikatur, Herr Mester? Wo sind die – moralischen – Grenzen Ihres Schaffens?Tucholskys berühmter Satz war gut und richtig für seineZeit, in der es gefährlich sein konnte, die eigene Meinung offen zu sagen. Auf die heutige Zeit bezogen ist erbillig. Heute darf Satire ja wirklich fast alles, jedenfallsmuss niemand fürchten, Ärger mit der Justiz zu kriegen;höchstens mit dem Intendanten oder dem Chefredakteur.Ich sehe ein anderes Problem. Das, was heute unter Satireoder auch Comedy läuft, hat oft kein moralisches Rückgrat. Für mich werden moralische Grenzen überschritten, wenn Satire so verstanden wird, dass sie nicht aufeine Sache oder auf den Repräsentanten einer Sachezielt, sondern sich an der Demütigung eines Menschenals Menschen delektiert. Ich nenne hier nur das Beispiel»Maschendrahtzaun«.P&U: Wer mit einer Karikatur positiv berührt, motiviert oderwachgerüttelt wird, wird sich vielleicht seltener bei Ihnenrückmelden. Wer sich ärgert, schon eher. Wie gehen Sie mitsolchen Rückmeldungen um, wenn sich zum Beispiel einPolitiker bei Ihnen beklagt?Politiker beklagen sich nicht. Die sind vermutlich ehergeschmeichelt, wenn sich ein Zeichner – wie auch immer– mit ihnen befasst. Gut die Hälfte der Rückmeldungenkommt von Neurotikern und Eiferern jeglicher Herkunft.Darauf antworte ich nicht. Wenn ich das Gefühl habe,jemand ist ehrlich betroffen oder persönlich verletzt, dannerkläre ich, was mich zu der Zeichnung bewogen hat.Politik & Unterricht 3/4-2005

Gegen den Strich –Karikaturen zu zehn ThemenTexte und Materialienfür Schülerinnen und Schüler3/4-2005Thema AAlltag in modernen Zeiten(A 1 – A 10)8Thema BElternhaus und Schule(B 1 – B 13)14Thema CMassenmedien(C 1 – C 10)20Thema DMobilität(D 1 – D 10)25Thema EUnser Planet: Umwelt und Nachhaltigkeit(E 1 – E 12)30Thema FLeben in der demokratischen Gesellschaft(F 1 – F 10)36Thema GParlamentarische Demokratie(G 1 – G 10)41Thema HSoziale Marktwirtschaft(H 1 – H 11)46Thema IDie Zukunft Europas(I 1 – I 13)52Thema JFrieden für die eine Welt(J 1 – J 10)58Politik & Unterricht 3/4-20057

A Alltag in modernen ZeitenA Alltag in modernen ZeitenKarikaturen A 1 – A 10Eine verantwortungsvolle Beschäftigung mit der Zukunftwird verschiedene Szenarien berücksichtigen und nichtnur Antworten geben, wie wir – aller Voraussicht nach –morgen leben werden, sondern auch die Frage stellen, wiewir morgen leben wollen. Nicht alles, was machbar ist, istauch wünschenswert. Und nicht alles, was möglich wäre, istauch realistisch.In diesem thematischen Teil des Heftes soll es nicht um wirtschaftliche oder technologische Entwicklungen und Optionen gehen, auch nicht um große, gar revolutionäre Veränderungen oder um die Welt in Atem haltende Krisen. Vielmehrgeht es hier um zehn verdichtete Bestimmungsfaktoren, dieschon heute auf unser Alltagsleben einwirken und unsereZukunft in den kommenden Jahren stetig, aber eben nichtspektakulär, beeinflussen werden. Diese Trends, der Umgangund die Reaktion auf diese Merkmale des Alltags entscheidenletztlich, ob wir uns zurechtfinden, uns wohl fühlen oderaber am Alltag leiden und letztlich sogar scheitern.Wenn es auch kaum möglich ist, sich dem Einfluss derbei zunehmender Internationalisierung und Globalisierungweltweit wirkenden Kräfte der modernen Zeit zu entziehen,so ist es doch wichtig, die Rahmenbedingungen zu kennen,um unseren – ganz normalen – Alltag, wo immer es geht,bewusst zu gestalten. Ob es sich um den privaten Wohnbereich, die persönlichen Beziehungen, den täglichen oderden besonderen Konsum handelt, ob es um das Klima unddie Erfolge an unserem Arbeitsplatz, um unsere Vorliebenund Aktivitäten in unserer Freizeit geht oder um unsere Gesundheit: Noch nie zuvor waren wir Menschen einem solchenAngebot ausgesetzt wie heute. Permanent müssen wir unsentscheiden, ob wir etwas machen, haben, selektiv nutzenoder ganz darauf verzichten wollen.Die Schülerinnen und Schüler können mit den ausgewähltenKarikaturen ernsthaft über ihre persönliche Lebensagendanachdenken und die Karikaturen als motivierende Einstiegein die Behandlung spannender Fragen nutzen (vgl. hier undim Folgenden bei der Auflistung der Charakteristika unsererZeit: Horst Opaschowski: Wir werden es erleben. Zehn Zukunftstrends für das Leben von morgen, Darmstadt 2002).Opaschowskis Anliegen ist auch der didaktische rote Fadendieses Thementeils: Wir müssen uns heute überlegen, wiewir in zehn oder zwanzig Jahren leben, wohnen, konsumieren und mobil sein wollen.8DIE KARIKATUREN UND IHRE THEMENDie ausgewählten Karikaturen ergeben ein Mosaik von zehnmiteinander korrespondierenden Trends und Bestimmungsfaktoren der Zukunft. Ein Foto aus Charlie Chaplins Film»Modern Times« (USA, 1936) und

Deutschland. Das Buch ist gegen eine Schutzgebühr von 5.- EUR (zzgl. Versandkosten) bei der Landeszentrale für politische Bildung oder [email protected] zu bestellen. Reinhold Weber/Ines Mayer (Hrsg.): Politische Köpfe aus Südwestdeutschland. Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 33, Stuttgart 2005.